«Rewind» - die Ode des Juicy Lemon Club

Juicy Lemon Club, die wohl steilst aufstrebende Basler Band, hat vor kurzem ihre zweite Single herausgebracht. «Rewind» ist eine Ode an die Jugend, das Ausgangsleben und den Major vier Akkord in einer Moll-Tonart.

Auf den ersten Blick, erscheint die Single als einfacher Pop-Song mit kitschigen Lyrics. Die Band spielt auf fast sarkastische Weise mit der übertriebenen Pop-Ästhetik, die aktuell immer noch viral geht und dreht; Stichwort Hyperpop. (Gewiss, von überverzerrtem Gesang und beschleunigten Instrumentals ist «Rewind» weit entfernt.) Wenn man genauer hinhört, merkt man aber, dass da vor allem sehr viel Wert auf gutes Handwerk gelegt wird. Denn es mag einfach sein über eine Pop-Schnulze zu lästern; eine solche zu schreiben, ist allerdings deutlich schwieriger als man meinen könnte. Zumindest wenn der Song nicht nach dem dritten Mal hören auf die Nerven gehen soll. Bei «Rewind» ist das absolut nicht der Fall. Beim dritten oder vierten Mal scheinen die Qualitäten dieser Jugendhymne erst richtig durch. Neben dem offensichtlich mitreissenden Hook, «Let this night last forever», brilliert die Single durch viele kleine Details, die erst mit der Zeit ihre Wirkung zeigen. Ist da etwa ein Triangel zu hören? Dass «Rewind» noch ausproduzierter daher kommt als die erste Single «Colourful Underwear», ist sicherlich auch Philippe Laffer zu verdanken. Die Band hat den neuen Release beim Basler Produzenten (u.a. One Sentence. Supervisor und Sam Himself) in den Alterna Recording Studios aufgenommen. Laffer hat sicherlich seine Spuren hinterlassen. Schliesslich wird er auch in den Songwriting-Credits aufgelistet. Die Idee ist aber ganz klar der Band, beziehungsweise Frontwoman Berenice Courvoisier zuzuschreiben. In Zeilen wie «Might take a chance just to hit the ground» fängt sie einen Teil der turbulenten Gefühlswelt der Jugendjahre ein. «Oh this precious time!» Die Euphorie im Text wird nicht nur durch den mitreissenden Beat verstärkt, sondern auch durch die bewusst gewählten Akkorde. «Rewind» ist in Moll geschrieben. Von den vier Akkorden im Refrain ist jedoch bloss der Grundakkord zu Beginn der Abfolge in Moll. Darauf folgt ein Major vier Akkord, welcher die Komposition, die Stimmung und bei Auftritten das ganze Publikum abheben lässt. Es ist dieser eine Akkordwechsel, der das Kerngefühl des Songs in sich trägt. 

Juicy Lemon Club ist es gelungen, die Stimmung der Jugendjahre nicht nur im Text, sondern auch im Klang einzufangen. Mit einer wohl überlegten Idee, Liebe zum Detail und Augenmerk aufs Handwerk, hat die Band eine Jugendhymne und einen wahren Hit geschaffen. Man darf gespannt bleiben, was das Jahr 2023 noch so auf Lager hat für die jungen Basler*innen. But now «stop the tape and press rewind».

Bild: Stephen Tusi

Anouchka Gwen - Love Facets: Vom Neo-Soul zum Pop und zu sich selbst 

Facetten der Liebe bringt uns Anouchka Gwen auf ihrer neuen EP näher. Facetten der Liebe, wie sie sie erlebt hat. «Play no games with me baby», «Are you worth my love?», «Let’s take it slow». Am Ende steht nicht die romantische Liebe im Zentrum, sondern die Selbstliebe. Musikalisch entwickelt sich die Singer-Songwriterin und Bassistin dabei vom Neo-Soul hin zum Pop und schliesslich zu sich selbst. 

Nach «Growth» und «Utopia» ist «Love Facets» der dritte grosse Release von Anouchka Gwen. Was als Soloprojekt begann, ist mittlerweile eine etablierte Band mit einer konstanten Richtung: nach oben. Die neue EP baut stilistisch auf dem Debütalbum von 2022 auf, bringt den Sound aber auf ein neues Level. 

«Affirmations» 

Die EP beginnt mit der erstveröffentlichten Single. In einem «letter to myself» wagt es die Musikerin vom Erfolg zu träumen, wobei sie sogleich ihre bisherigen Errungenschaften anerkennt. «My ancestors wildest dream. I am my wildest dream.» Die Wurzeln sind im Text sowie in der Musik omnipräsent. «Affirmations» überzeugt als Pop-Hymne, spielt aber zugleich mit Polyrhythmik und brilliert durch musikalische und thematische Details wie die versteckten Kirchenglocken in der Bridge. Aus Gospel wird Soul und aus Soul wird Pop, doch die predigenden Texte bleiben. 

«Slow» 

Es folgt die zweite Single und ein erster Einblick in die romantischen Facetten der Liebe: «You and me, side by side.» Es handelt sich aber nicht um eine oberflächliche Schnulze. Die Singer- Songwriterin will mehr als das. «See beyond my eyes, see beyond my smile. There’s more behind, so much more to find.» Die Liebesreise scheint zu beginnen. Aber: «Let’s take it slow». 

«Play No Games» 

Im dritten Song wird es musikalisch und lyrisch dunkler. «Play no games with me baby!» Auf dem dritten Song der Platte wird zum ersten Mal das Energiepotential voll ausgeschöpft. Frustration und Unsicherheit kollidieren in Wucht, einem mitreissenden Drumbeat und einem Refrain mit Ohrwurm-Potential. 

«Me» 

Sogleich wendet sich Anouchka Gwen im nächsten Song von der romantischen Liebe ab und wendet sich sich selbst zu. In ein Synthpop-Gewand verpackt, predigt sie ein simples aber umso wichtigeres Statement: «Me, me, me and it’s enough». 

«Are You Worth My Love» 

Song Nummer fünf ist am nähesten am Neo-Soul, den man von «Utopia» kennt, angesiedelt. Erneut ist - neben der makellosen Vocalperformance - der Drumbeat hervorzuheben. Vibey, groovy, catchy. Mitwippen ist unumgänglich. 

«Gentle Touch» 

Ironischerweise ist dies der härteste Song der EP. Der dröhnende Drumbeat zieht sich hypnotisch durch den ganzen Song durch. Darauf bauen eine simple aber effektive Bassline, sphärische Synth-Sounds und die warme Gesangsstimme auf. Komplettiert wird der Closing-Track von experimentellen elektronischen Sounds, die einmal mehr die starke Produktion der Platte unter Beweis stellen. 

Ausgereift aber lange nicht fertig 

Auf «Love Facets» präsentiert sich eine musikalisch ausgereifte Anouchka Gwen. Sie gewährt tiefe EInblicke in ihre persönliche Gefühlswelt. So konfrontiert sie die Zuhörenden mit deren eigenen Gefühlen und deren eigenen Facetten der Liebe. Für Anouchka Gwen und ihre Band führt die Reise weiter in die gleiche Richtung: nach oben. 

Bild: Flavio Karrer

Audio Dope - «Gone»: neues Territorium und altbewährte Beats 

Audio Dope erforscht auf seinem dritten Album «Gone» neue musikalische Richtungen und Territorien und bleibt seinem eigenen Sound dennoch treu. Am Samstag, 1. April, wird auf der Gannet die Plattentaufe gefeiert. 

Am 24. März veröffentlichte Mischa Nüesch, alias Audio Dope, sein drittes Studioalbum. Im Vergleich zu «Audio Dope» (2018) und «Superlunary» (2020) erscheint «Gone» klanglich vielfältiger. In Songs wie «Ghost» und «Honestly» lässt sich der Produzent in Zusammenarbeit mit etablierten Sänger*innen aus seiner musikalischen Komfortzone locken. Die zahlreichen Features verpackt er sorgfältig in einen Rahmen aus typischen Trip-Hop und Electronic Beats. Es entsteht ein Album, das sich für weitaus mehr als zum Lernen und Relaxen anbietet. 

Ohne Vorwarnung beginnen die Hi-Hats zu tanzen, der Synthi zu schweben und das Vocal Sample gespenstisch zu zittern. Paradoxerweise sind «yeah, over» die ersten Worte. Sofort wird man ins Audio Dope-Erlebnis reingezogen, in welchem man man als Nächstes in Form von «Round & Round» und «Blind» die ersten Features antrifft. Die Stimme des neuseeländischen Sängers Noah Slee und die E-Bass-Künste von James Iwa werden zur Schau gestellt. In «Blind» wird der für Audio Dope typische prägnante Drumbeat durch ein rhythmisches Gitarrensample ergänzt. Oder ist es überhaupt eines? Beim Basler verschmelzen die diversen Parts so stark, dass es beinahe unmöglich wird, ein Sample auszumachen. Ist vielleicht das Gitarrenriff secondhand? Oder doch der Drumbeat? Keine Zeit zum Überlegen. Das nächste Feature, «Ghost» mit Emilia Anastazja, ruft. 

In «Vernon Road» drückt zum ersten Mal auf dieser Platte ein Trap-Einfluss durch. Eine Tendenz, die sich in «Superlunary» bereits abgezeichnet hatte und jetzt explizit zum Vorschein kommt. Die zeitgenössisch rollenden Hi-Hats wirken fast schon fehl am Platz im oldschool Sound von Audio Dope. Aber eben nur fast. Der Produzent schafft es, die verschiedenen Stilelemente miteinander verschmelzen zu lassen und kreiert so einen ganz eigenen Klang. 2020 meinte er in einem Interview mit Radio X: «Ich möchte Trends immer so umsetzen, dass man in 5 Jahren nicht denkt: Der Song ist von 2015. Da haben alle gleich produziert. Es ist mir wichtig, dass ich eine eigene Note beibehalte.» Was er dazumal auf sein zweites Album bezog, ist ihm auch jetzt wieder gelungen. 

Mit «Honestly» folgt eines der absoluten Highlights der Platte. Es sind schliesslich auch zwei ganz grosse der Basler Musikszene, die sich dafür vereint haben. Die Stimme von Manuel Gagneux, auch bekannt als Birdmask und Sänger von Zeal & Ardor, ergänzt das sanfte Arrangement von Audio Dope. Wer hätte gedacht, dass die Kollaboration eines Electronic-Produzenten und eines Metal-Sängers so poppig sein kann? 

Drei Songs später folgt mit «Flowers» das letzte grosse Feature der Platte. Die Zusammenarbeit mit dem US-Rapper Rome Fortune kann man von allen Songs des Albums am deutlichsten dem Hip Hop zuordnen, wobei auch hier wieder schnelle Hi-Hats dem Song eine Trap-Note verleihen. 

Nach 34 Minuten Spielzeit ist es schon wieder vorbei. Gone. Geniesst man das Album auf einem Streaming-Dienst, beginnt es aber gleich nochmals und so landet man wieder bei «Oyster Gone», dessen Intro genauso als Closing Track funktionieren würde. Anfang und Ende verschwimmen. Das Album gerät in Endlosschlaufe. Stunden können vergehen. Lernend, relaxend, vielleicht sogar tanzend. Langweilig wird es nicht. «Gone» ist enorm 

abwechslungsreich und zugleich in sich zusammengehörig. Eine Festigung und Erweiterung der Audio Dope-Identität zugleich. Der Basler Produzent hat etwas gewagt, hat neues Territorium betreten und das Resultat ist ein voller Erfolg. 

 
Heute Abend um 18:00 Uhr spielt Luna Oku im Plattfon in Basel und präsentiert sein Debütalbum «Figment». Passend dazu gibt es hier eine Rezension der neuen Platte. 

Mehr als melancholische Liebeslieder – Eine Rezension von Luna Okus «Figment» 

Luna Oku heisst Alon Bens neues Projekt. Zum ersten Mal präsentiert sich der Drummer von unter anderem Mastergrief und Malummí als Solokünstler. Das Resultat? Im Kern eine Sammlung nachdenklicher, melancholischer Liebeslieder. Doch das Debütalbum «Figment» lässt sich kaum darauf reduzieren. 

 

Der Mond sei in manchen Sprachen weiblich, in manchen männlich, erklärt Alon Ben im Interview mit BSounds. Oku bedeute auf japanisch Eiche, was auf hebräisch wiederum Alon heisse. Aus diesen Gründen und weil die zwei Worte zusammen schön aussehen und gut klingen, hat Alon Ben für sein neues Soloprojekt den Namen Luna Oku gewählt. 

«Figment», der Name des Albums, bedeutet hingegen «Produkt der Einbildung». Dieser Titel unterstreicht die Nachdenklichkeit, die Tendenz zum Overthinken, welche in den neun Songs immer wieder zum Thema wird. 

 

Der erste trägt den Namen «Sleep Well» und stellt eine Mischung aus sphärischen Synthesizern, einer groovy Bass-Line und interessanten Perkussionselementen im Hintergrund dar. Letztere sind wenig überraschend für eine Komposition eines Schlagzeugers. Überraschender ist die sanfte Stimme von Alon Ben, die immer wieder durch Gesangsharmonien im Hintergrund ergänzt wird und so ein weiches Wolkenbett schafft, in das man sich hineinwiegen will. Wiegend ist übrigens eine passende Beschreibung für Alon Bens Kompositionen. Ständig schaukelt sich langsam ein Höhepunkt heran. An der Spitze angekommen, flacht er Stück für Stück ab oder endet abrupt und der nächste -punkt beginnt in die Höhe zu wachsen. Die Klänge schwellen ab und an wie Ebbe und Flut. 

 

«Figment» ist jedoch keinesfalls eine Ansammlung langsamer, eintöniger Trauerlieder. Das Album besitzt durchaus tanzbare Stellen: zum Beispiel die von Disco angehauchte Gitarre in «Ruby Sparks». Im Song «This Year» zeugt die facettenreiche Perkussion von Alon Bens Erfahrung als Drummer in einer Vielzahl von Bands. Ausserdem experimentiert der Musiker auch mit diversen Rhythmen. Ein Beispiel dafür ist die Gitarre im selben Song, welche ein Triolen-Pattern spielt und einen Kontrast zur Begleitung dahinter in vier Viertel darstellt. 

 

Bemerkenswert ist auch die Vielfalt der Instrumentierung. Reiche Perkussion, Blechblasinstrumente, Bass, akustische und elektrische Gitarren sowie jede Menge Synthesizer sind zu hören. Manche der Synthis offensichtlich, melodiös an vorderster Front, andere ganz scheu und unauffällig im Hintergrund. Ausserdem wird das zu erwartende Schlagzeug hin und wieder durch eine Drum Machine ergänzt oder ersetzt. So zum Beispiel in «Love». Das konstante Pattern der Drum Machine bildet das Fundament der ersten Songhälfte. Die Komposition schwellt in der Mitte zu einer Flut an. In der darauffolgenden Ebbe ist die Drum Machine nicht mehr zu hören. Stattdessen führt uns ein echtes Schlagzeug entspannt durch den zweiten Teil. Nebst den klar identifizierbaren Instrumenten kommen auch Elemente vor, bei denen man nicht direkt weiss, was man da genau hört. In «What If» wird ein kaum erkennbarer rückwärts abgespielter und geschnittener Sound als Perkussionselement eingesetzt. 

 

Das facettenreiche Klangbild ist vor allem beeindruckend, wenn man bedenkt, dass Alon Ben den Grossteil der Instrumente selbst eingespielt hat. Unterstützt wurde er bei der Produktion von Marco Hänni, dem Drummer von Sophie Hunger. Dieser stand Alon als Coach zur Seite, da der Basler Musiker zuvor bei der RFV Soundclinic gewonnen hatte. Mit dieser Unterstützung hat Alon Ben alias Luna Oku ein Indie-Werk geschaffen, das sich irgendwo zwischen Radiohead, Fleet Foxes und Bon Iver einordnen lässt. Der Multiinstrumentalist zeigt sich vulnerabel. Er öffnet sich. Zum ersten Mal ohne den Schutz einer Band. Dass die Songs melancholischer geworden sind, als man Alon Ben als Person einschätzen würde, hat seinen Grund. «Ich kann besser Songs schreiben, wenn es mir nicht so gut geht», verrät er in der BSounds Sendung. 

 

«Das Ziel war, dass das Album eine Stimmung wird. Dass man es in einem Stück hören kann», erzählt Alon in derselben Sendung. Die Hörer:innen sollen in sich selbst abtauchen können. Dies ist dem jungen Basler auf jeden Fall gelungen. «Figment» ist in sich stimmig. Die Songs weisen alle einen ähnlichen Charakter auf und dennoch klingt keiner wie der zuvor. Die zahlreichen Metaphern in den Texten lassen zudem Raum für Interpretation, Raum für Anwendung auf eigene Erfahrungen. Das Abtauchen in sich selbst gelingt mühelos. 

 

Luna Okus Debütalbum hat sicherlich einige Punkte, die man kritisieren könnte. Die Songs könnten noch mehr ineinanderfliessen. Der Gesang dürfte an manchen Stellen überzeugender rüberkommen. Alles in allem ist das Album auch nicht unbedingt etwas Weltbewegendes, nichts Revolutionäres. Das hatte Alon Ben aber wahrscheinlich gar nicht zum Ziel. «Man soll keine krasse Message voll ins Gesicht kriegen», kommentiert er sein Debüt. Stattdessen sollen sich die Hörer:innen ihre eigenen Erinnerungen mit «Figment» machen. Ob man nun seinen Liebeskummer zu «Love» weg weint oder sich zu «Sleep Well» in Einsamkeit wiegt, mit «Figment» kann man auf jeden Fall zu guter Musik in sich selbst abtauchen und seine eigenen Erinnerungen schaffen.